Im Bann des dunklen Dukes

Er hat ein schwarzes Herz, heißt es.
Er gilt als kalt, skrupellos und gefährlich.
Er soll seine Frau aus Eifersucht getötet haben.

Robert Beaufort, der Duke of Scuffold, ist zurückgekehrt ins Schloss seiner Väter. Mit ihm gesehen zu werden bedeutet Ruin für den Ruf jeder Frau. Als Miss Minerva Honeyfield den Duke an einem verwunschenen Ort im Wald trifft, ist es zu spät, die Warnungen ihrer Tante zu beherzigen.

Ihre unschickliche Begegnung ist das Aufregendste, was Minerva je passiert ist – und das Gefährlichste. Und obwohl Minerva weiß, dass er unheilvoll und bedrohlich ist, kann sie sich der Faszination des Dukes nicht entziehen.

Als ihre Mutter in tödliche Gefahr gerät, muss sich Minerva fragen, ob sie ihr Herz wirklich an einen Mörder verloren hat…

Romantisch – spannend – geheimnisvoll. Der neue Liebesroman von Emmi West ist der Auftakt einer Reihe inmitten der glanzvollen Regency Ära. Perfekt für Leser/innen, die ihre Helden verwegen und ihre Heldinnen couragiert und ein klein wenig abenteuerlustig mögen.

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Leseprobe:

»Ich warne dich ausdrücklich, hörst du: aus-drück-lich, das Grundstück des Dukes zu betreten. Er ist unberechenbar. Außerdem spukt es in dem Pavillon.«

»Das kann ich nicht glauben«, warf Minerva ein, wohl wissend, dass der zahme Widerspruch ihre Tante zum Weiterreden brachte und von ihrer ersten Frage ablenkte, wenn Minerva Glück hatte. Ein Geist! Sie hatte demnach recht gehabt mit ihrer Empfindung, die nicht ein Produkt ihrer lebhaften Fantasie war, gespeist von Sallys kurzer Erzählung über den Gast im Pub.

»Oh doch, es stimmt. Ich habe es von Mrs. Dalrymple und die wiederum hat es von ihrer Köchin gehört.«

»Ach, wirklich? Und auf welche Weise manifestiert sich dieses angebliche Gespenst?«

»Man hört das Weinen einer Frau«, sagte Tante Catherine, die auf ihre müßig im Schoß ruhenden Hände herabsah. »Vor allem um Mitternacht ist es dort nicht geheuer. Die Cousine der Köchin, ein loses junges Ding, hat sich dort … sie war dort spazieren.« Minerva fragte nicht, was ein junges Mädchen um diese Zeit im Wald zu suchen hatte. Es konnte nur ein Abenteuer romantischer Natur gewesen sein, vermutete sie. Im Geiste sah sie bereits vor sich, wohin sie Marianne de Lacey als Nächstes schicken würde:

Am düsteren Nachthimmel leuchtete voll und rund der Mond. Zweige peitschten ihr ins Gesicht, als Marianne durch den Wald floh. Hinter ihr ertönte das furchterregende Heulen der Wölfe, der Sendboten des Dukes …

»Nun, wie auch immer. Sie schwört, dass sie die Gestalt einer Frau sah, die sich vor Kummer die Haare raufte und weinend nach ihrem Geliebten rief.« Zitterten Tante Catherines Hände etwa?

»Sie müssen sich keine Sorgen machen, Tante. Ich werde nicht so unvernünftig sein wie die Cousine der Köchin.« Minerva hatte nicht vor, sich des Nachts aus dem Haus zu schleichen, um nach einem Geist zu suchen. Sie war eine aufgeklärte junge Frau und wusste, dass Gespenstergeschichten nur einen einzigen Zweck hatten: Sie sollten Kinder und junge Frauen wie sie erschrecken und davon abhalten, eine Dummheit zu begehen. Aber sie konnte tagsüber, wenn ihre Verwandten das nächste Mal zu einem Besuch aufbrachen, dorthin gehen und in die Atmosphäre eintauchen. Wenn sie schon aus Sally nichts herausbekam, ohne sie entlohnen zu müssen, dann blieb ihr eben nur diese andere Möglichkeit der Inspiration.

»Nun, wie auch immer«, seufzte die ältere Frau und fasste sie scharf ins Auge. »Du hast vermutlich recht. Von einem Gespenst geht dort oben noch die geringste Gefahr aus. Es ist der Duke, den du auf keinen Fall treffen darfst.«

»Wieso?« Die Neugierde stand ihr sicher ins Gesicht geschrieben, denn der Mund ihrer Tante wurde zu einem harten Strich in ihrem ansonsten an Rundungen nicht eben armen Gesicht.

»Er ist ein verdorbener Mann«, stellte sie lakonisch fest. »Man sagt, er habe seine Frau ermordet, weil sie … auf Abwege geriet.« Minerva bemühte sich, das interessierte Leuchten in ihren Augen zu verbergen, indem sie angelegentlich auf die vernachlässigte Stickerei auf ihrem Schoß sah.

Das war wohl der Mann, von dem Tante Catherine und Mrs. Inchman auf dem Pferdemarkt gesprochen hatten. Die Erinnerung an das gut gemeinte, aber schrecklich verletztende Täuschungsmanöver der Tante kam wieder zum Vorschein. Minerva beschloss, Tante Catherine noch ein wenig auszuhorchen, auch wenn es ihre Nerven zum Flattern brachte. »Ist es ihr Geist? Der toten Frau, meine ich?«

»Kind, wenn du dich schon an solchen Schauergeschichten delektierst, dann sprich bitte wenigstens in ganzen Sätzen.«

»Entschuldigen Sie, Tante. Ist es der Geist der Toten, der auf der Lichtung klagt?«

Sie hatte unernst geklungen, denn die Tante sah sie mit einem missbilligenden Ausdruck auf dem Gesicht an. »Das wirst du ganz sicher nicht herausfinden. Nein, Minerva. Was ich dir sagen möchte ist, dass du dich auf keinen Fall auf das Land des Dukes von Scuffold begeben darfst. Es könnte gefährlich sein. Er mag gut aussehen, aber er ist skrupellos und brutal. Sein jüngerer Bruder ist Lord Thomas Beaufort, von dem du vielleicht schon gehört hast. Er hat eine Schauspielerin zur Frau genommen. Das muss man sich einmal vorstellen!« Sie kniff die Augen zusammen und ließ keinen Zweifel an ihrer Missbilligung, als sie weitersprach. »Seit jener Nacht, in der die Duchess überraschend verstarb, hat Lord Beaufort sich hier nie wieder blicken lassen. Man munkelt, dass es selbst ihm nicht gelungen war, seinen Bruder Robert zur Räson zu bringen.«

Das wurde ja immer besser! Wie schade, dass Minerva ihr Notizbuch nicht dabei hatte.

»Der Duke hat keinen einzigen weiblichen Dienstboten dort oben auf seinem Anwesen, das sagt man zumindest, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, wie er ohne weibliche Hilfe zurechtkommt. Er muss inzwischen völlig verroht sein. Nicht, dass ich einem Dienstmädchen dieses Schicksal zumuten möchte, aber man sollte doch glauben, dass ein Mann mit seinem Vermögen ein zweites Mal heiratet. Aber nein, er lebt dort oben und empfängt buchstäblich niemanden. Das muss man sich einmal vorstellen! Nicht einmal die Honoratioren seines Dorfes oder der näheren Umgebung.« Sie schüttelte den Kopf in absoluter Fassungslosigkeit. »Natürlich fragen sich alle, was damals passiert ist, aber Doktor Springfield schweigt bis heute wie ein Grab.«

Ihre Pausen waren ausdrucksvoll genug, dass sich Minerva daran entzündete. »Aber müssen bei einem verdächtigen Todesfall nicht die Behörden informiert werden?«

Ihre Tante nickte zustimmend. »Das ist ja das Merkwürdige. Entweder hat der Duke seine eigene Gräueltat vertuscht oder seine Frau hat die allergrößte Sünde begangen und sich selbst das Leben genommen. Sie bekam zwar ein ordentliches Begräbnis, aber ich frage mich, ob das alles mit rechten Dingen zuging. Seine Familie gehört ja zu den ältesten des Landes und angeblich können Sie ihre Herkunft bis auf Johann Ohneland zurückführen. Was durchaus sein kann, denn diese Plantagenets waren immer ein durch und durch verdorbener Haufen, wenn du mich fragst.«

»Und niemand hat ihn seitdem gesehen? Vielleicht hatte er ja in der Nacht, in der seine Frau starb, einen schrecklichen Unfall und ist so entstellt, dass er sein Gesicht niemandem zu zeigen wagt außer seinen treuesten Dienstboten. Und dem Arzt natürlich«, setzte sie hinzu und fragte sich, wie sie jedes faszinierende Detail dieser außergewöhnlichen Geschichte in ihrem Buch unterbringen konnte. Irgendwie würde es schon gehen. Zwar war der Duke in ihrem Buch nicht entstellt, aber das war kein Problem. Lady Marianne würde ein Feuer legen – versehentlich natürlich – und er entkam den Flammen, nur um der Welt sein wahres Gesicht zu zeigen. Er war ein Monster und man würde es sofort an seinem Äußeren erkennen! Ha, das war ein würdiger Schluss für ihren Roman, dachte Minerva. Und seine Frau, auf welche Weise konnte Minerva sie in ihrem Buch unterbringen? Sie hielt den Atem an, als ihr eine wirklich wundervolle Idee kam. Der Duke wollte Lady Marianne zur Heirat zwingen, um sich ihres Vermögens zu bemächtigen, das sie in der Zwischenzeit auf irgendeine Weise wiederbekommen hatte. In Wahrheit aber war der Duke noch verheiratet und zwar mit einer verrückten Frau, die er auf dem Dachboden versteckte!

»Hörst du mir überhaupt zu, Kind?« Tante Catherine hatte sie an der Hand gepackt und sah sie strafend an. »Dieser Mann ist kein würdiges Objekt für die romantischen Fantasien und Hoffnungen einer jungen Lady. Selbst eine Vorstellungskraft wie deine ändert nichts an den Tatsachen. Er ist verdorben, unmoralisch und der unhöflichste Mensch der ganzen Grafschaft. Es ist außerdem gefährlich, sich in seiner Nähe aufzuhalten.«

»Warum denn, Tante? Der Tod seiner Frau liegt ja sicher ein paar Jahre zurück, oder?«

»Das stimmt, aber die seltsamen Vorfälle, von denen man hört, scheinen sich seit seiner Rückkehr zu häufen. Einer seiner Diener kam bei einem Jagdunfall ums Leben und er selbst wurde in der Zeit, seit er hier ist, bereits zweimal von Dr. Springfield behandelt. Ich möchte nicht wissen, welche Krankheiten er sich auf seinen Reisen durch Europa eingefangen hat. Angeblich kennt er Lord Byron und logierte eine Zeit lang mit ihm und seiner unaussprechlichen Entourage am Genfer See. Und ich möchte auch nicht wissen, welche Abscheulichkeiten sie sich dort ausgedacht haben, um sich zu amüsieren.« Dann, als bemerke sie mit einem Schlag, wem sie diese Indiskretionen anvertraute, wurde der Blick ihrer Tante wachsam. »Solltest du jemals mit ihm gesehen werden oder auch nur mit ihm sprechen, kann ich dir eines versichern: Kein Mann von Ehre und Moral wird jemals wieder in Erwägung ziehen, dich zu einer ehrbaren Frau zu machen, gleichgültig wie groß deine Mitgift ist. Halte dich von dem Duke und Beaufort fern, dann wirst du keine Schwierigkeiten haben, auch in deinem Alter noch einen passablen Gatten zu finden.«

Minerva öffnete den Mund, um empört zu widersprechen und schloss ihn wieder. Der Redestrom ihrer Tante war versiegt und nichts würde ihn wiederbeleben. Pflichtschuldig wandte sie sich ihrer Stickerei zu, als Tante Catherine sie ihr aus der Hand nahm und mit Argusaugen betrachtete. »Ich fürchte, aus dir wird nie eine gute Ehefrau«, stellte sie fest. »Deine Rosenknospen sehen verdorrt aus und die Veilchen dort oben sind auch keine Zierde.« Sie reichte ihr die winzige Handarbeitsschere. »Du wirst alles noch einmal auftrennen müssen. Aber das wird deine Gedanken in Bahnen lenken, die dir besser zuträglich sind als absurde Geistergeschichten, mein Kind. Denk daran, du hast einen Ruf zu verlieren.« Der Sprung von der Stickerei zurück zum Duke of Scuffold war ein gewagter, aber Minerva verstand, was ihre Tante ihr sagen wollte.

Für jemanden wie sie, eine angehende Schriftstellerin, war es doppelt bedeutsam, einen tadellosen Lebenswandel zu führen. Andererseits, ihr Atem beschleunigte sich, bot ihre geheime Tätigkeit ihr einen Ausweg.

Denn wenn sie bereits eine Frau von zweifelhafter Moral war, nun – dann war gegen eine weitere kleine Eskapade nichts einzuwenden. Oder?

* * *

Nach einer Zeit, die ihr endlos lange erschien, verabschiedeten sich Tante und Onkel endlich wieder einmal, um eine Einladung zu erwidern. Ganze acht Tage hatte es gedauert, bis jene lang ersehnte Gelegenheit zur Begutachtung ihrer Entdeckung im Wald sich ihr bot. Minerva, die diesmal aufgefordert wurde, ihre Verwandten zu begleiten, schützte Kopfschmerzen vor und ließ sogar das gemeinsame Mittagsmahl ausfallen. Endlich war es soweit.

Sie wartete noch eine Zeit lang, bis auch eine hastige Rückkehr ausgeschlossen war, weil ihre Tante etwas vergessen hatte, und schlich sich aus dem Haus. Über ihrem Arm hing ein Korb ähnlich dem, den Sally bei ihrer Begegnung getragen hatte. 

Unter einem Tuch verborgen befanden sich ihr Notizbuch, das sorgsam verschlossene Tintenfass und der Federkiel, der am besten in ihrer Hand lag. Das Tuch versteckte nicht nur den Inhalt des Korbs, es ließe sich später auch nutzen, um die schmutzige Sitzgelegenheit in dem Pavillon zu bedecken. Minerva war auf alles vorbereitet. 

Sollte jemand zu wissen verlangen, was sie vorhatte, war ihr eine ausgezeichnete Ausrede eingefallen: Sie suchte Pilze.

Erst als sie bereits auf halbem Wege aus dem Dorf war, fiel ihr etwas auf. Gab es nicht für Pilze eine Saison? Sie meinte sich zu erinnern, dass ihre Tante und Anna bei der Planung eines Dinners etwas Derartiges gesagt hatten. Nichtsdestotrotz schritt Minerva hocherhobenen Hauptes voran, erleichtert, dass alle Einwohner grüßten, sie jedoch nicht nach dem Korb oder ihrem Ziel fragten.

Sobald sie den Wald erreichte, wusste sie, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, sich hinter dem Rücken ihrer Verwandten ein wenig Freiheit zu gönnen. Sie war kein Kind mehr, das ständig beaufsichtigt werden musste, auch wenn anscheinend alle Welt sie dafür hielt. Ihr Vater hatte sie fortgeschickt, ohne nach ihren Wünschen zu fragen oder sich auch nur ein einziges Mal ihre Gründe für die Ablehnung Mr. Meades anzuhören. Sie war ja bereit zu heiraten, aber nicht irgendjemanden, der es nur auf ihre stattliche Mitgift oder ihr ansprechendes Äußeres abgesehen hatte. War es denn wirklich zu viel verlangt, wenn sie sich wenigstens die Hoffnung auf Glück und Liebe bewahren wollte?

Sie lachte leise, als ein Hase vor ihr über den Weg hoppelte und im Dickicht verschwand. Es sah so hübsch aus, wie er sie mit seinen Knopfaugen anschaute und ihr zuzunicken schien, als billige er ihr so wenig sittsames Verhalten. Selbst diese Kreatur besaß mehr Freiheit als sie! War es denn wirklich so unmöglich, dass Frauen etwas Eigenständigkeit zugestanden wurde? Minerva hatte gehört, dass die skandalumwitterte Mary Godwin sich nicht nur für die Schulbildung von Mädchen einsetzte, sondern auch für die Gleichberechtigung der Frauen. Minerva schüttelte den Kopf. Sie wollte ja nicht einmal im Parlament sitzen und politische Entscheidungen treffen oder, Gott bewahre, sich einen Geliebten nehmen, wie es angeblich einige Frauen der Beau Monde taten. Nein, alles, was sie wollte, war ein Mann, der sie um ihretwillen liebte und der ihr die Freiheit ließ, so zu sein, wie sie war.

Ohne es zu merken, hatte sich ihr Schritt beschleunigt und sie war tüchtig ausgeschritten. Ihr war warm und als Minerva eine Hand an ihre Wange legte, fühlte sie die Hitze der Haut. Vermutlich war auch ihre Frisur in Unordnung geraten. Die Locken, die sie heute Morgen ohne Annas Hilfe so sorgfältig gelegt hatte, klebten an ihrer Stirn. Der Saum ihres hellen Musselinkleids war schmutzig, wie auch ihre Schuhe und vermutlich die Unterröcke. Hoffentlich kam sie noch vor ihrer Tante zurück und konnte Anna überreden, die Sachen zumindest notdürftig zu säubern. Mit einem Anflug von Trotz dachte Minerva, dass sie nun, da sie sich vielleicht, vielleicht auch nicht, verraten würde, genauso gut tun konnte, weshalb sie hergekommen war: An ihrer Geschichte weiterzuschreiben.

Mit einem Seufzer der Erleichterung trat sie in das verlassene Häuschen. Die blasse englische Sonne fiel durch die Baumkronen und spendete gerade genug Licht, dass sie die Buchstaben erkennen konnte, die sie schrieb. Suchend sah sie sich nach einem Plätzchen um, auf dem sie ihr Tintenfass deponieren konnte, und fand nichts. Gut, dann musste das schmale Sims der Brüstung als Ablage herhalten. Es war zwar umständlich, wenn sie sich immer wieder umdrehen musste, um den Kiel einzutunken, aber daran war nichts zu ändern.

Mit gerunzelter Stirn las sie noch einmal den letzten Absatz, den sie geschrieben hatte. Marianne de Lacey war den Fängen des finsteren Dukes in letzter Sekunde entkommen, dank ihrer Fähigkeit zur geistreichen Konversation. Nur mithilfe ihrer flinken Zunge war es ihr gelungen, den brutalen Bösewicht lange genug abzulenken, so dass sie sich aus seinem Schloss stehlen konnte. Sie war durch die umliegenden Wälder geflüchtet, hatte die dressierten Wölfe auf eine falsche Spur gelenkt und stand nun am Rand einer Klippe. Hinter ihr ertönte das Hufgetrappel des wilden Hengstes, den der Duke ritt, unter ihr taten sich die Felsen auf und das in Aufruhr geratene Meer.

Minerva seufzte. Wie sollte es Marianne gelingen, sich aus dieser Klemme zu befreien? Sie hätte gut daran getan, sich und ihrer Heldin einen Ausweg zu lassen. Nun saß sie hier im Wald des Dukes of Scuffold, kaute am Federkiel und wusste nicht weiter. Kurz erwog sie, Marianne einen kühnen Sprung ins Meer tun zu lassen. Aber konnte Marianne überhaupt schwimmen? Sie dachte an Lord Byron, der als der mutigste und beste Schwimmer Europas galt – hatte er nicht einen Kanal schwimmend überquert und war dabei beinahe gestorben? Und warum sollte sie nicht in ihrer Fantasie eine Frau schaffen, die es an Körperkraft mit einem Mann aufnehmen konnte? Ein Sprung von den Klippen war ziemlich gewagt, aber das größte Hindernis bestand nicht darin, dass es ihrer Heldin an Mut mangelte. Es war eher die Kleidung Lady Mariannes, die Minerva Sorgen bereitete. Wie schnell würden sich Mantel und Kleid voll Wasser saugen und die Lady damit in die Tiefen des Meeres ziehen? Oder konnte sie Marianne im Nachtgewand flüchten lassen? Nein, auch das war ausgeschlossen.

Minerva seufzte. Marianne de Lacey blieb keine Wahl. Sie musste sich dem Duke ergeben, auf seine Gnade hoffen oder untergehen. Ein zweites Mal würde sie ihn nicht ablenken können, denn er war ja nicht nur ein gut aussehender und böser Mann, sondern auch von geradezu teuflischer Intelligenz. Minerva fragte sich, was er Marianne antun würde, sobald sie in seine Fänge geriet. Hatte sein Schloss ein Verlies, in dem er sie anketten und sich täglich aufs Neue an ihrer Hilflosigkeit weiden würde? Marianne konnte kaum aus eigener Kraft von dort entkommen, also brauchte sie Hilfe. Leider waren die Diener des Dukes ihm treu bis in den Tod.

Minerva schaute auf, als ein leises Knacken an ihre Ohren drang.

War da jemand, der sie beobachtete? Nein, sie war allein. Etwas raschelte in ihrem Rücken, aber so schnell sie sich auch umwandte, da war niemand. Vermutlich war es ein Tier gewesen, ein weiterer neugieriger Hase. Oder … konnte es der Geist gewesen sein?

Sie erschauerte und schalt sich sofort. »Es gibt keine Geister«, sagte sie laut und wünschte, sie hätte es nicht getan. In der Einsamkeit des Waldes klang ihre Stimme fremd und ängstlich. Ihr Herz klopfte so laut, dass sie kaum etwas anderes vernahm als das wilde Pochen. Ihre Kehle fühlte sich trocken und eng an. Einen Moment erwog sie, trotz ihres Unbehagens zu bleiben, aber in diesem Moment ertönte gleich hinter ihr ein Rascheln, das lauter als vorher war und näher bei ihr als zuvor. Der Schreck ließ sie hochschnellen.

Hastig packte sie ihre verstreut umherliegenden Habseligkeiten, warf die Decke in den Korb und schlang sich die Stola über die Schultern. Es war wohl doch keine gute Idee gewesen, ganz allein hierherzukommen. Niemand wusste, wo sie war und wenn ihr etwas zustieß … vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen, die laubbedeckten, rutschigen Stellen auf dem Boden meidend.

Sie hatte es fast geschafft, als ihr Blick auf etwas fiel, das nicht hierhin gehörte. Es waren Füße – Männerfüße und sie steckten in derben Lederstiefeln, die an den Knien endeten und zu Beinen wurde, die in Breeches steckten … Minerva sprang zurück, stieß ein höchst undamenhaftes Quieken aus und fiel auf den Rücken wie ein hilfloser Käfer.

»Was tun Sie hier auf meinem Land?«

Die Stimme war dunkel und rau, als gehöre sie jemandem, der nicht mehr gewohnt war, zu sprechen. Minerva schaute nach oben und starrte in ein Gesicht, das finster und männlich und wunderschön war. Lohfarbenes Haar, das ein wenig zu lang für die herrschende Mode war, bildete einen leuchtenden Heiligenschein um sein Gesicht. Augen, die zwischen Gold und Haselnuss wechselten, starrten sie unter finster zusammengezogenen Brauen an. Sein Mund war breit, über die Lippen konnte sie nichts sagen, denn sie waren jetzt in diesem Augenblick zu einem harten Strich zusammengepresst. Er beugte sich weiter hinunter und Minerva blieb nichts anderes übrig als sich starr und klein zu machen und zu beten, dass er ihr nichts tat. Sie öffnete den Mund, um ihn zurechtzuweisen, brachte aber nur ein Krächzen heraus. »Können oder wollen Sie nicht sprechen?« Er hob eine der perfekt geformten Augenbrauen und sah voller Verachtung auf sie herab.

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