Historischer Liebesroman

Nach zwei missglückten Saisons kommt Sophia ein letztes Mal nach London, wo sie von ihrer einflussreichen Tante, der verwitweten Duchess of Trowbridge, unter die Fittiche genommen wird.
Wie das Schicksal es will, tritt bald ein aufregender, breitschultriger Mann in ihr Leben.
Der verwegene Mr. Moore.
Trotz seines schlechten Rufs als Schurke und seiner zweifelhaften Vergangenheit gewinnt er Sophias Vertrauen – und eine zarte Verbindung entsteht.
Doch ein Mann wie er wird von keiner Familie als passender Heiratskandidat akzeptiert und die Duchess versucht Sophias Aufmerksamkeit von Mr. Moore abzulenken, indem sie ihr den Marquess of Oakham, Andrew Livingston, vorstellt. Charmant, hoch angesehen und äußerst gutaussehend, bringt der schneidige Lord die Herzen junger Damen in Aufruhr – und Sophia ist keine Ausnahme. Bald drängt ihre Familie Sophia den Marquess zu heiraten, würde dies doch nicht nur ihre, sondern auch die Zukunft ihrer Schwestern sichern.
Doch Sophia kann nicht ruhen, bis sie Mr. Moores Geheimnis aufgedeckt hat. Schließlich ist er der Mann, um den all ihre Gedanken kreisen.
Die Antwort, die sie findet, wird alle überraschen.
Rätselhaft – herzerwärmend – zauberhaft. Ein historischer Liebesroman inmitten der schillernden Regency Ära. Die ideale Lektüre für alle, die zartfühlende, aber mutige Heldinnen und selbstbewusste, starke Helden bevorzugen.
Aus dem Englischen “The Marquess’ Hand” von R.R. Wynter & Audrey Ashwood, in Zusammenarbeit mit Jenny Foster / Emmi West.
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Leseprobe:
Erst als Sophia den ersten ihrer großen Koffer auf das Bett hob, fiel ihr auf, dass etwas nicht stimmte. Sie hatte geglaubte, dass sie Schwierigkeiten haben würde, dieses Ding zu bewegen, als sie die Griffe anpackte. Stattdessen war es ganz einfach, den Kasten zu heben und auf dem Bett zu platzieren. Sie war sich sicher, den scheinbar schwerelosen Koffer mit nur einer Hand heben zu können und probierte es sogar aus. Das bereitete ihr Sorgen, denn sie wusste, dass sie all ihre Habseligkeiten von daheim eingepackt hatte und erinnerte sich, wie schwer die Koffer bei ihrer Abfahrt gewesen waren. Es war unmöglich, dass diese plötzlich nun nichts mehr wiegen sollten. Verwirrt öffnete Sophia den Koffer, um zu sehen, was hier für seltsame Umstände am Werk waren.
Was sie im Inneren sah, ließ ihre Augen groß werden. In dem Koffer, der all ihre Garderobe enthalten sollte, fand Sophia gerade mal drei Kleider. Sie zog eines nach dem anderen heraus und stellte fest, dass dies alles Kleider waren, die Violet ihr entweder als Geschenk gegeben hatte oder von denen sie behauptet hatte, Sophia sähe sehr gut darin aus. Sophia vermutete einen Trick, schlug den Deckel zu und rannte nach unten, um ihre Tante zu finden.
Die Duchess war bereits im Salon, hatte sich in einem Sessel niedergelassen und las die Zeitung, die ihr von einem ihrer Diener gebracht worden war. Sie lächelte Sophia gelassen an, wobei sie den irritierten Gesichtsausdruck ihrer Nichte entweder nicht bemerkte oder sich nicht darum kümmerte. »Und, hast du dich im Haus umgesehen?«
Normalerweise würde Sophia niemals so unhöflich sein, eine direkt an sie gerichtete Frage einfach zu ignorieren, aber in diesem Moment war sie zu angespannt, um sich zu beherrschen. Sie sah ihre Tante mit schmalen Augen an. »Die Koffer, die ich von daheim mitgebracht habe, die meine gesamten Habseligkeiten enthalten, sie sind so gut wie leer. Wie ist das möglich?«
Die Duchess blinzelte zweimal, so als hätte sie nicht die leiseste Idee, wovon Sophia sprach. Dann, plötzlich, schnippte sie mit den Fingern der rechten Hand, als wäre es ihr gerade wieder eingefallen. »Das ist richtig, ich hatte es dir ja noch gar nicht gesagt. Ich hatte geplant, dich mit einer komplett neuen Garderobe auszustatten, während du bei mir lebst. Es gab keinen Grund, all die von dir ausgesuchten Kleidungsstücke aus Bradford mitzubringen, weshalb ich deine Schwester Violet bat, diese durchzugehen und nur die besten Stücke zu behalten. Das machte die Reise auch einfacher für die Pferde.«
»Sie hat gerade mal drei Kleider übriggelassen!« Sophia errötete, als ihre Stimme von den Wänden widerhallte.
Die Duchess hob die Augenbrauen und legte ihre Zeitung hin. »Tatsächlich? Nur drei? Ich hatte keine Ahnung, dass deine Schwester derart kritisch sein würde. Hast du denn gar keine modischen Kleider in deinem Besitz?« Sie wickelte eine goldbraune Locke um ihren Finger. »Nun ja, ich hatte vor, dich ein paar Tage hier einleben zu lassen und dich dann zur Schneiderin mitzunehmen. Aber wenn du wirklich nur noch drei Kleider übrig hast, dann sollten wir uns bereits morgen darum kümmern. Ich hoffe, dass sie einige fertige Kleider in deiner Größe haben.«
* * *
Sophia blickte bereits seit mehr als drei Stunden auf ihr eigenes Spiegelbild in den bodentiefen Spiegeln, die sie umgaben. Sie stand auf einem runden Podest im Obergeschoss einer Schneiderei in der Bond Street, während eine Vielzahl von Schneiderinnen sie musterten, Maß nahmen und in einem flüsternden Ton mit der Duchess sprachen, die mit einer Tasse Tee in einer entfernten Ecke des Raumes saß. Die Besitzerin des Ladens stand hinter ihrer Tante und beugte sich über die Schulter der Dame, während sie gemeinsam über Entwürfe und die verschiedenen Möglichkeiten diskutierten.
Sie hatten angefangen, über Ballkleider und Abendroben zu sprechen und die Schneiderinnen machten Vorschläge für Sophias neue Morgengarderobe und ihre Straßenkleider. Alle schienen überaus erfreut, vielleicht deshalb, weil sie nie gedacht hatten, eine derart große Bestellung in einer Jahreszeit zu erhalten, in der es für sie normalerweise nicht viel zu tun gab. Es verunsicherte Sophia, dass sie nicht wusste, wie viel Geld ihre Tante in die Ausstattung ihrer Garderobe steckte, denn die Summe musste beachtlich sein. Sie wusste, ihre Tante meinte es gut und zeigte sich überaus großzügig, aber es war eine Großzügigkeit, die Sophia unangenehm war. Ihr gefiel der Gedanke nicht, sich womöglich hierfür bei ihrer Tante verpflichtet zu fühlen. Sophia glaubte, dass es immer am besten war, niemals in der Schuld von anderen Menschen zu stehen.
Sophia seufzte. Wie langweilig ihr war! Seit nun über zehn Minuten war keine der Schneiderinnen mehr zu ihr gekommen. Sie wurde auf dem hölzernen Podium stehengelassen, unbewacht und es schien ihr, dass sie nun vielleicht die Möglichkeit hätte, der Situation zu entfliehen, in der sie sich befand.
»Tante Trowbridge«, sagte Sophia, während sie den Fokus auf die Dame richtete, die immer noch mit ihrem Tee in der Ecke saß.
Es dauerte einige Augenblicke, bis ihre Tante antwortete. Sie verglich im Augenblick zwei verschiedene Kleiderdesigns miteinander und legte sich schließlich auf das zu ihrer Linken fest. Dann sah sie zu ihrer Nichte auf. »Ja, Liebes, was gibt es? Die Kleiderentwürfe kommen sehr gut voran. Wenn diese feinen Künstler mit ihrer Arbeit fertig sind, wirst du eine komplett neue Frau sein.« Ihre Worte brachte einige der Schneiderinnen dazu, selbstgefällig zu lächeln. »Ich spiele mit dem Gedanken, auch mir eine Kleinigkeit auszusuchen.«
»Ich bin mir sicher, dass du etwas Schönes finden wirst, Tante«, antwortete Sophia, »Was mich angeht, es tut mir leid, falls ich für deine Großzügigkeit undankbar erscheinen mag, aber ich muss zugeben, dass ich langsam müde werde. Nun, da meine Maße genommen wurden, frage ich mich, ob ich vielleicht nicht etwas Ablenkung suchen könnte. Sicherlich ist nach der Aufmerksamkeit, die mir zuteil wurde, bis zur letzten Sommersprosse jeder Makel aufgezeichnet worden, der für die Anpassung der Garderobe notwendig ist.«
Die Besitzerin des Ladens schaute auf und lachte. »Ich kann Ihnen versichern, Miss Swinton, wir führen keine Notizen über die Makel unserer Kunden. Und ich habe in Ihrem hübschen Gesicht keinen einzigen Fehler bemerkt.«
Sophia antwortete mit einem angestrengten Lächeln. »Nun… dann benötigen Sie mich nicht noch länger auf diesem Podest?«
Die Frau nickte den Kopf. »Ja, wir haben alles Wesentliche, was wir von Ihnen benötigen.«
»Wieso kommst du nicht her und inspizierst all die liebreizenden Entwürfe, die ich herausgesucht habe?« Tante Trowbridge klopfte auf den leeren hölzernen Stuhl an ihrer Seite. Während sie sprach klappte sie ein neues Musterbuch auf und verlor sich schnell in den schönen Designs.
Sophia seufzte innerlich auf. Entwürfe durchzusehen, kam ihr nicht spannender vor, als das, was sie bereits tat.
»Eigentlich, Tante, habe ich mich gefragt, ob es mir erlaubt sei, einen kurzen Spaziergang zu machen. Ich habe einen schönen Park bemerkt, nicht weit von deinem Zuhause. Wenn es für dich nicht zu viel Aufwand bedeutet, würde ich mich gerne von deinem Fahrer dorthin bringen lassen, damit ich die letzte kurze Strecke zum Grosvenor Square laufen kann. Ich werde ihn sofort hierher zurückschicken, damit du nicht warten musst und ich dich dann zu Hause antreffen kann.«
Die Duchess nickte zustimmend, als die Besitzerin des Ladens mehr Stoff brachte und stolz vor sich hielt und sagte: »Dieser wird Ihnen wunderbar passen, Euer Gnaden«.
»Ja, ich denke, das ist eine ausgezeichnete Wahl.« Tante Trowbridge berührte den Stoff zärtlich und dann, immer noch in die Designs vertieft, murmelte sie abgelenkt »Hyde Park?« Sie griff nach einem dunkelvioletten Stoff. »Wenn die Entwürfe dich wirklich nicht interessieren, dann werde ich mich beeilen. Ich kann nicht zulassen, dass ein junges Mädchen allein im Park oder in Knightsbridge herumspaziert.«
Nach einer Weile, als sie keine Antwort auf ihren Einwand hörte, blickte die Duchess auf. Ihre Augen suchten nach ihrer Nichte. Sie stand abrupt auf und eilte zum Eingang des Ladens, aber von Sophia war keine Spur.
»Oh, dieses sture Mädchen«, seufzte sie und überlegte, ob sie ihr einen Diener hinterherschicken sollte. Sie glaubte wirklich nicht, dass dem Mädchen etwas zustoßen würde, aber sie sorgte sich um Sophias Ruf. Seufzend entschied sie sich, sofort nach Hause zurückzukehren, sobald ihr Wagen wieder für sie bereitstand, wo sie Sophia hoffentlich antreffen würde.
Frische Luft war in London nach wie vor schmerzlich schwer zu finden. Egal wo man sich in der Stadt befand, es lag scheinbar immer irgendein Geruch in der Luft. Selbst in diesem wohlhabenden Stadtteil, so nah am wunderbaren Grosvenor Square, schien immer aus irgendeiner versteckten Ecke ein seltsamer Geruch aufzusteigen. Doch es war nicht ausschließlich Gestank. So gab es auch zu bestimmten Tageszeiten die äußerst willkommene Abwechslung des köstlichen Dufts von frischem Brot, das gerade gebacken wurde.
Sophia war froh, dass die Stadt weitläufige Parks hatte, in die sie sich zurückziehen konnte. Dass der Hyde Park nur einen kurzen Spaziergang vom Haus ihrer Tante entfernt lag, war eine Wohltat. Sie war sich sicher, sie würde den Park genauestens kennen, sobald ihr Aufenthalt in der Stadt beendet war. Als sie aus der Kutsche ihrer Tante ausstieg, fühlte sich Sophia freier, als sie es seit Wochen getan hatte. Sie hatte eindringlich mit dem Fahrer sprechen müssen, um ihn davon zu überzeugen, sie hier rauszulassen, aber er hatte widerwillig zugestimmt und schien einen Kompromiss in ihren Anweisungen zu finden, sofort zu ihrer Tante in die Bond Street zurückzukehren. Jetzt hatte sie eine kurze Zeit für sich selbst, um die Luft zu atmen und die Schönheit ihrer Umgebung zu genießen.
Hyde Park selbst war ein charmanter Ort. Er hatte sowohl einen Fluss als auch ein schönes Staubecken sowie zahlreiche Pfade, auf denen man herumschlendern konnte. Sophia entschied sich für den ersten, der ihr gefiel. Sie nahm das Zwitschern der Vögel in den Bäumen wahr und beobachtete, wie eine Familie einen anderen Fußweg hinabschlenderte, der sich durch den Park schlängelte. Eingehüllt in vollständiger Ruhe und Gelassenheit genoss sie es, einen Weg ganz für sich alleine zu haben.
Als sie früher mit ihrer Mutter nach London gekommen war, hatte Sophia nicht die Chance gehabt, sich den großartigen Parks der Stadt zu widmen – obwohl diese eine sehr gute Gelegenheit für gesellschaftliche Treffen boten. Mrs. Swinton hatte zahlreiche Gerüchte über derartige Orte gehört und diese an sie weitergetragen. Dort fanden angeblich Ehrenduelle statt, es gab Wegelagerer und außerdem wurde berichtet, dass Tunichtgute herumlungerten. Mrs. Swinton ließ dabei stets außer Acht, dass solche Verbrecher die Parks sicher nicht bei Tageslicht aufsuchen würden. Derart beängstigender Klatsch brachte ihre Fantasie zum Blühen! Sie war sich sicher, dass Londons Parks zu gefährlich waren, um ihre älteste Tochter in ihnen herumwandern zu lassen, wenngleich all die anderen Damen sich auf der Suche nach einem Ehemann sorglos an eben diese Orte begaben.
Sophia schüttelte ihren Kopf, um die Gedanken über ihre Mutter und deren sonderbare Ansichten über die Welt abzuschütteln. Obwohl sie noch nicht genau wusste, wie sie Tante Trowbridge einschätzen sollte, war sie sich sicher, dass die Dame zumindest kein schlechteres Händchen haben würde als ihre Mutter, wenn es darum ging, ihr bei der Suche nach einem Ehemann zu helfen. Ein Lächeln huschte über ihre Lippen. Sie nahm einen tiefen Atemzug von der angenehmen Parkluft und genoss das Grün und die saftig grüne Landschaft, die ihr bei den letzten Besuchen verwehrt worden war.
Als sich Sophias Augen wieder zurück auf den vor ihr liegenden Pfad wendeten, bekam sie einen Schreck. Zwei Reiter kamen ihr auf dem Pfad entgegen. Sie waren immer noch einige Yards entfernt, aber sie gaben ihren Rössern derart die Sporen, dass diese die zwischen ihnen liegende Entfernung schnell schlossen. Keiner von ihnen machte ein Anzeichen, die Geschwindigkeit zu drosseln. Die schwarzen Hengste steuerten direkt auf Sophia zu, begleitet vom tosenden Donnerschlag ihrer Hufe.
Sophia stand wie gelähmt. Sie wusste, dass sie den Reitern und ihren Tieren aus dem Weg eilen musste, doch ihre Gliedmaßen verweigerten ihren Dienst. Die beiden Gentlemen wedelten wild mit ihren Armen und gestikulierten, dass sie schnell Platz machen sollte. Sophia versuchte, dem Befehl Folge zu leisten, aber ihre Beine bewegten sich nicht vom Fleck. Sie stand nur da und beobachtete erschrocken, wie die Reiter immer näherkamen. Die Biester drohten, ihren Körper mit ihren kraftvollen Beinen niederzutrampeln.
Sophia schloss ihre Augen. Sie verschloss sich instinktiv vor dem Anblick der beiden wahnsinnigen Reiter. Dieser Reflex bewirkte etwas. Sie spürte, wie die lähmende Angst wich und sie wieder Funktion über ihre Beine erlangte. Sie wusste, dass ihr nur ein winziger Augenblick blieb! Alles, was sie tun konnte, war sich nach links zu werfen, in der Hoffnung, sich so aus der Gefahrenzone zu stürzen.
Schmerz schoss ihr durch ihren Körper, als sie fühlte, wie sie auf dem Boden aufkam. Sie krümmte sich wie ein Igel zu einem Ball zusammen und bedeckte ihr Gesicht mit ihren Händen. Sie hörte, wie der Klang der Hufe erst lauter und anschließend wieder leiser wurde. Erst, als er nicht mehr lauter war als ein Murmeln in der Luft, traute sich Sophia, sich zu bewegen.
Sie öffnete ihre Augen und setzte sich auf. Sie schaute den beiden Reitern nach, die um Haaresbreite Schuld an schweren Verletzungen oder sogar ihrem Tod gewesen wären. Unbeirrt rasten sie weiter rücksichtslos den Weg hinunter und hielten nicht einmal an, um sicherzustellen, dass es ihr gut ging. Diese Erkenntnis war genug, um Sophia aus ihrem benommenen Zustand herauszuholen, der sie eingehüllt hatte. Sie stand hastig auf. Ihr Gesicht verzerrte sich vor Schmerz, während ihr rechter Fuß mit ihrem eigenen Gewicht kämpfte.
»Schurken! Gemeine, gemeine Bösewichte!«, rief sie, so laut sie konnte, den beiden Reitern nach, während sie ihre Faust in der Luft schüttelte. Sie gaben ihr nicht einmal einen kurzen Blick zurück und Sophia wurde mit Rage und Empörung zurückgelassen. Sie atmete schwer und versuchte, ihre Haltung wiederzugewinnen. Sie legte ihre Hand auf ihren Bauch und zwang sich dazu, jeden einzelnen ihrer Atemzüge zu zählen. Nun wurden ihr auch die Herrschaften um sie herum bewusst, die auf anderen Wegen entlangspaziert waren. Die beiden Übeltäter, die sie zu Fall gebracht hatten, hatten ihren Zornesausbruch vielleicht nicht gehört – aber eine Menge anderer Leute schon.
Sophia wurde rot vor Scham und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Sie beschloss, alle zu ignorieren und nach Hause zu gehen, zurück in die Sicherheit und Abgeschiedenheit, die ihr die vier Wände ihrer Tante geben würden. Doch sie schaffte es nicht einmal drei humpelnde Schritte, bevor sie von einer Stimme angehalten wurde.
»Entschuldigen Sie, Miss?«
Die Stimme, die nach hier gerufen hatte, war eindeutig die eines Mannes. Als sich Sophia herumdrehte, um nach ihm Ausschau zu halten, sah sie aber nur ein junges Mädchen, das über das Gras auf sie zulief. Sophia schätzte das Mädchen anhand ihrer Größe auf ein wenig älter als sechs oder sieben Jahre. Sie hatte einen Kopf voll dickem, blondem Haar, das wild auf und ab hüpfte, während sie rannte. Ihr strahlend gelbes Kleid mit einem weißen Band ließ sie ein wenig wie eine Weizengarbe aussehen.
Sophia schaute an dem hüpfenden Mädchen vorbei und erblickte einen Gentleman, der ihr ein gutes Stück dahinter folgte. Er war es, der nach ihr gerufen hatte. Sophia strich ihr verschmutztes und zerrissenes Kleid glatt und bemerkte die Grasflecken an ihren Knien. Sie setzte ein Lächeln auf, denn sie wollte nicht ihren Frust und Ärger über die beiden Reiter auf dieses süße junge Geschöpf richten, das auf sie zukam.
Sobald das Mädchen Sophia erreicht hatte, nahm es ihre Hand, als ob sie bereits beste Freunde wären und begann sie von dem Pfad herunterzuführen. »Sie dürfen nicht auf der Rotten Row bleiben, Miss«, schimpfte das Kind. »All die schnellen Reiter benutzen diesen Weg. Der Pfad der Ladies liegt in dieser Richtung.«
»Ist das so?« Sophia konnte nicht anders, als zu lächeln, als sie derart unvermittelt durch das junge Mädchen belehrt wurde. Sie war mit Sicherheit ein sehr lebhaftes Wesen und ihre süße Natur war sehr effektiv dabei, allen Zorn und all die Wut zu zerstreuen, die in ihren Gedanken nachklangen. »Oh, das wusste ich nicht. Es tut mir leid, ich war noch niemals vorher im Hyde Park spazieren.«
Das Mädchen drehte sich um. Ihre strahlend smaragdgrünen Augen schauten Sophia mit äußerster Ernsthaftigkeit an. »Also eine Lady sollte nicht an einem unbekannten Ort ohne Begleitung herumlaufen. Es ist eine sehr gute Sache, dass ich heute meinen Vater mit hierhergebracht habe. Sonst wäre ich ja nicht hier gewesen, um Ihnen zu helfen.«
Sophias Lächeln wurde breiter. Sie nahm einen tiefen, befreienden Atemzug, als nun auch das letzte bisschen Wut verflogen war. Sie schaute, wie das neugierige, kleine Mädchen sie an der Hand führte, während sie mit ihrem anderen Arm dem Herren zuwinkte.
»Vater! Diese Lady hat sich verlaufen. Und sie ist verletzt.«
»Verzeihen Sie mir, Miss.« Er zog seinen Hut, als er endlich an der Seite seiner Tochter ankam. Das Mädchen ließ Sophias Hand los und schlang ihren Arm in einer besitzergreifenden Weise um die Hüfte ihres Vaters. Ihr üppiger Haarschopf legte sich über die eine Seite ihres Gesichts, als sie unverwandt zu Sophia aufsah.
»Ich sah den Sturz von der anderen Seite. Sind Sie verletzt? Ich hoffe, meine Tochter war keine Belästigung.«
Sophia starrte auf den Gentleman, der sie ansprach. Sie nahm sein Gesicht und sein Äußeres mit einer Intensität in sich auf, die sie normalerweise Gentlemen gegenüber nicht so offen zeigte. Obwohl es zu diesem Zeitpunkt kaum passend war, war Sophias erster Gedanke, wie gutaussehend er doch war. Er hatte dunkles Haar, das hinten kurz geschnitten war. Sein Körperbau war, vermutlich durch Bewegung und Arbeit (oder gute Veranlagung), schlank und geschmeidig. Er hatte ein maskulines Gesicht und Augen so braun wie flüssige Schokolade. Sein Blick war ernsthaft besorgt und Sophia fühlte sich in der Gesellschaft dieses Gentlemans unvermittelt sicher. Just als sie zu dieser Einsicht kam, wurde ihr bewusst, dass sie dem Mann auf seine Frage noch eine Antwort schuldig war.
…
Ende der Leseprobe.
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