Die Braut von Colborn

Historischer Liebesroman

Jackson, Arizona-Territorium 1865. Als Luke Colborn aus dem Bürgerkrieg heimkehrt, ist nichts mehr, wie es war. Sein Vater liegt im Sterben, und Luke soll die Ranch übernehmen. Die einzige Bedingung: Luke soll die Frau heiraten, die seinen Vater während dessen Krankheit aufopferungsvoll gepflegt hat. Doch der an Körper und Seele vernarbte Luke will alles, nur keine Frau an seiner Seite.

Colleen Ashton lebt seit drei Jahren im Haus des reichen texanischen Ranchers. Als sein Sohn aus dem Krieg heimkehrt, sieht sie einer ungewissen Zukunft entgegen. Dem Vorschlag, Luke zu heiraten und sich dadurch Sicherheit zu erkaufen, sieht sie mit gemischten Gefühlen entgegen. Der wortkarge, verbitterte Kriegsheimkehrer berührt eine lang vergessene weiche Seite in ihr, auch wenn er ihr nichts als Ablehnung entgegenbringt.

Während Luke versucht, sich auf der Ranch seines Vaters einzugewöhnen, beginnt jemand ein unheimliches Spiel mit Colleen zu spielen. Greift die Bedrohung aus ihrer Vergangenheit nach ihr, oder ist es Luke, der sie für eine Abenteurerin hält und nichts unversucht lässt, um sie loszuwerden?

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Colleen Ashton wartete nun schon eine geschlagene Stunde auf die Ankunft der Postkutsche. Sie seufzte und hob die Hand, um sich zum vierzehnten Mal in 60 Minuten den Staub vom Kleid zu klopfen, und ließ sie resigniert wieder sinken. Die unerträgliche Hitze in den Sommermonaten und der alles beherrschende Staub waren Dinge, an die sie sich nie gewöhnen würde. In New York war es im Hochsommer ebenfalls warm, aber die Zeit der Mittagshitze hatte sie lesend unter ihrem Lieblingsbaum oder im Salon verbracht, wo es wesentlich angenehmer war. Diese Zeit gehörte nun endgültig der Vergangenheit an, und sie bedauerte nichts, versicherte sie sich. Nicht den hastigen Aufbruch und nicht die Trennung von Henry Montgomery Britton, ihrem ehemaligen Verlobten.

Waren das Pferdehufe, deren Getrappel sie hörte? Colleen beschattete mit der behandschuhten Hand die Augen und sah in die Richtung, aus der das verheißungsvolle Geräusch kam. Die riesige Staubwolke kündigte unverkennbar die Ankunft eines Gefährts an. Sie atmete einmal tief durch. In ihrer Brust tobten die wildesten Gefühle von Furcht über ängstliche Erwartung bis zu einem Anflug von Hoffnung. Gleich würde sie den Mann sehen, den zu heiraten sie versprochen hatte – und der selbst noch nichts von ihrer Existenz ahnte. Bitte, betete sie innerlich, lass ihn freundlich sein. Auf das, was man gemeinhin gutes Aussehen bei einem Mann nannte, konnte sie verzichten, ging es doch meistens einher mit einer unerträglichen Arroganz. 

Wenn Luke Colborn im Charakter auch nur ein wenig seinem Vater ähnelte, dann würde vielleicht doch noch alles gut werden.

Sie stützte sich am Geländer ab, dessen raue, unbearbeitete Oberfläche sie selbst durch die Handschuhe noch spüren konnte. Nervös überprüfte sie ein letztes Mal den korrekten Sitz ihrer Haube und schob eine widerspenstige Strähne zurück unter den Stoff. Die rotbraune Mähne hatte sie heute Morgen mit extra vielen Haarnadeln festgesteckt, und doch löste sich ihr fest geflochtener Haarkranz bereits wieder in Wohlgefallen auf. Während sie damit beschäftigt war, die Strähne unter ihrer Haube zu verbergen, sah sie ihre Nachbarin Miss Blyton. Die grauhaarige Dame ungewissen Alters winkte ihr zerstreut zu und eilte in Richtung Postamt. Colleen lächelte. Sicher würde Miss Blyton, die für ihr undamenhaftes Temperament bekannt war, den jungen Mr. Simmons in den Wahnsinn treiben. Sie erhielt jeden Monat ein riesiges Paket, dessen geheimnisvoller Inhalt ganz Jackson zu den wildesten Spekulationen trieb. Dem Gewicht nach zu urteilen und Mr. Simmons Gesichtsfarbe – er hatte die Ehre, das Paket zu ihrem kleinen Pferdewagen tragen zu dürfen – wog es mindestens 40 Pfund.

Als die Kutsche endlich hielt, war Miss Blyton im Postamt verschwunden. Colleens Aufmerksamkeit wandte sich den Passagieren zu. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen, und sie räusperte sich nervös.

Der Mann, der als Erster ausstieg, war groß und breitschultrig. Gekleidet in feine Stoffe und nach der neuesten Mode, ging von ihm eine Weltläufigkeit aus, die man hier in Jackson nur einmal in jeder Dekade zu sehen bekam. Der Mann reichte einer Dame die Hand und half ihr höflich aus der Kutsche. Mit einem Anflug von Sehnsucht bemerkte Colleen, dass sich die Mode während der Zeit ihres selbstgewählten Exils bereits wieder verändert hatte. Der Reifrock der Frau war lange nicht so ausladend, wie er es selbst auf einer langen Reise noch vor zwei Jahren gewesen wäre. Das Kleid war ein Traum aus dezent gestreiftem Seidenbatist, mit einem dreireihigen Abschluss aus Volants am Saum. Instinktiv wich Colleen einen Schritt zurück, um das Paar besser beobachten zu können. Die beiden legten Wert darauf, gesehen zu werden, das erkannte man bereits an der Art und Weise, wie sie sich bewegten. Selbstbewusst, um Aufmerksamkeit heischend, und gleichzeitig sehr bedacht.

Der Gedanke, dass dies Luke Colborn sein könnte, schoss durch ihren Kopf, und Colleen wurde übel. Hatte er etwa aus dem Krieg eine Braut heimgebracht und seinem Vater nichts davon gesagt? Sie folgte dem Paar unauffällig mit den Augen. Sie sahen sich suchend um, als müssten sie erwartet werden. Mit sinkendem Herzen trat sie aus dem Schatten und wollte sich den beiden nähern, als eine Männerstimme neben ihr ertönte.

»Entschuldigung, Ma’am, sind Sie Miss Ashton?« Colleen wandte den Kopf ein wenig und versuchte, das aufgetakelte Paar nicht aus den Augen zu verlieren.

»Sir, ich habe es eilig«, sagte sie ungeduldig. Dann besann sie sich auf ihre guten Manieren. »Wenn Sie Hilfe brauchen«, sie wies mit der Hand quer über die Straße, »finden Sie dort drüben das Büro des Sheriffs. Bitte entschuldigen Sie mich.« Sie gönnte ihm einen kurzen Blick und wollte gehen, da schloss sich seine Hand um ihren Arm.

Empörung wallte in ihr auf. Was dachte sich dieser Fremde, sie einfach anzufassen! »Sir«, entgegnete sie mit zusammengebissen Zähnen, immer noch um Höflichkeit bemüht. »Bitte lassen Sie mich los.« Sie starrte demonstrativ auf seine leicht gebräunte Hand, die immer noch fest wie ein Band aus Eisen um ihr schmales Handgelenk lag. Nach einer Sekunde, die ihr wie eine Ewigkeit vorkam, ließ er sie los.

Der Fremde nahm seinen Hut ab und enthüllte einen dichten Schopf blonder Haare, die so sorgfältig gekämmt waren, wie man es nach einer Reise in der Postkutsche erwarten konnte. Sie sah seine blauen Augen, die umgeben von einem Kranz feinster Fältchen in seinem Gesicht leuchteten. Eine blasse Narbe zog sich vom Rand des linken Auges hinunter über die Wange bis zum Mundwinkel. Colleen errötete. Etwas weicher sagte sie:«Es tut mir wirklich leid, aber ich erwarte jemanden, der wie Sie mit der Postkutsche kam, und ich glaube, es ist ihr Reisebegleiter mit der Dame dort drüben.«

»Nein«, sagte er bestimmt, und all ihre weichen Gefühle verflogen mit dem nächsten Atemzug.

»Kennen wir uns, Sir? Wissen Sie, auf wen ich warte?«

Die Andeutung eines schiefen Lächelns flog über seine Züge, um sofort wieder zu verschwinden. »Wenn Sie Miss Ashton sind, dann erwarten Sie mich«, gab er zurück. »Mein Vater hat mir telegrafiert, dass er sie schicken würde, um mich abzuholen.«

»Dann sind Sie … Luke Colborn?« Mühsam die Fassung bewahrend, senkte sie den Blick. »Ich bin Colleen Ashton.«

»Zu Ihren Diensten, Ma’am«, sagte er und sah Colleen kühl an. »Sie sind also die neue Haushälterin meines Vaters.«

»Bitte folgen Sie mir. Apollonius wartet hinter dem Saloon auf uns«, wich sie einer direkten Antwort aus. Erst jetzt bemerkte sie die verschmutzte Reisetasche, die neben ihm stand. »Soll ich Apollonius rufen oder können Sie Ihr Gepäck selbst …«

»Ich bin vielleicht ein Invalide« fuhr er rüde dazwischen, »aber kein Krüppel. Ich kann meine Sachen sehr gut selbst tragen.« Die sichtbare Anstrengung, die es ihm bereitete, strafte seine Worte Lügen, wie auch das leichte Hinken. Colleen schwieg. Wie sollte sie diesem ungehobelten Kerl klar machen, dass sie seine zukünftige Frau war?

Sie dachte an die weisen Worte von Jake Colborn, der ihr vor dem Aufbruch sanft die Hand gedrückt hatte. »Sagen Sie besser nicht, was wir zwei ausgeheckt haben.« Trotz der starken Schmerzen hatte ein verschmitztes Lächeln seine ausgezehrten Züge umspielt. »Ich kenne meinen Sohn. Er ist ein Hitzkopf und wird sich mit allen Mitteln gegen eine Heirat sträuben, die sein Vater für passend hält. Sie müssen ihm Zeit geben, von selbst auf die naheliegende Lösung zu kommen.« Colleen war nicht ganz wohl gewesen bei dem Gedanken, Luke die Pläne seines Vaters zu verschweigen. Jetzt aber, da sie dem Mann in diskretem Abstand folgte, verstand sie Jake besser. Luke war in den letzten Tagen des Bürgerkriegs verwundet worden und hatte zwei Monate in einem Hospital darauf gehofft, endlich heimkehren zu dürfen. 

Hier erwartete ihn nicht nur ein todkranker Vater, sondern auch Männer, die sich nur allzu gut daran erinnerten, dass Luke auf der falschen Seite gekämpft hatte. Statt der Armee der Konföderierten beizutreten und seine Heimat gegen die »dreckigen Nordstaatler« zu verteidigen, war er bereits zu Beginn der Unruhen zu den Unionsstaaten übergelaufen.

Sie umrundeten den Saloon, aus dem wie üblich um diese Tageszeit kein Laut drang. Colleen sah, wie der Mann, den sie für Luke gehalten hatte, und seine Begleitung das Lokal betraten. Dem Boarding House, das gleich nebenan lag, gönnten die beiden keinen Blick. Seit dem angeblichen Goldfund vor rund einem Monat statteten Fremde dem kleinen Ort Jackson häufiger einen Besuch ab, auch wenn sie in der Regel nicht annähernd so gut gekleidet waren wie die beiden heutigen Ankömmlinge. Die Tatsache, dass auch die Frau den Saloon betrat, verriet Colleen alles, was sie über die Reputation des Paares wissen musste.

Apollonius hatte neben dem Pferdewagen gewartet und sprang auf die Beine, als er Luke und Colleen sah. »Master Luke«, rief er und wollte auf ihn zulaufen, besann sich jedoch eines Besseren. Colleen beobachtete, wie Lukes Schultern sich versteiften.

»Bist du immer noch hier, Apollonius?«, fragte er mit rauer Stimme. »Du wolltest doch immer fort von Jackson. Was machst du noch hier?« Seine Frage, dachte Colleen, klang beinahe schon vorwurfsvoll.

»Ich konnte Ihren Vater doch nicht allein lassen«, erwiderte der ehemalige Sklave leise und sah Luke stolz in die Augen. »Ich weiß, dass ich frei bin, aber was nützt mir die Freiheit, wenn sie mich an der nächsten Ecke immer noch erschießen können wie einen räudigen Köter? Verzeihung, Miss Colleen«, sagte er schnell mit einem Blick auf die Angesprochene. Lukes Miene wurde, wenn möglich, noch finsterer. Er sagte kein einziges Wort, sondern hievte sich samt Gepäck auf den hinteren Sitz des Wagens. Colleen wartete einige Sekunden vergeblich darauf, dass er ihr die Hand reichte, um ihr hinaufzuhelfen, und kletterte schließlich aus eigener Kraft nach oben.

Die Fahrt verlief schweigend. Colleen wusste nicht, wie sie das Gespräch auf die beiden Themen bringen sollte, die ihr wirklich am Herzen lagen – die wahren Gründe für ihre Anwesenheit und den prekären Gesundheitszustand seines Vaters – ohne mit der Tür ins Haus zu fallen. Für unverbindliches Plaudern über das Wetter oder die nächste Ernte war dies weder der richtige Ort noch die richtige Zeit.

Sie würde wieder einmal warten müssen.

* * *

»Du hast WAS gemacht?«

Das erste Gespräch zwischen Luke und seinem Vater lief nicht gut. Colleen saß neben dem Bett des alten Herrn und hielt seine feuchtkalte Hand. Die ersten Sätze zwischen ihnen waren merkwürdig unbeholfen gewesen. Sie kannte Jake inzwischen gut genug, um zu wissen, dass sich hinter seinem rauen Äußeren ein allzu weiches Herz verbarg und bedauerte, dass die beiden Männer es nicht vermochten, ihre wahren Gefühle auszudrücken. Wer im Gesicht des älteren Colborn lesen konnte wie sie, sah die unendliche Liebe zu seinem Sohn, die aufrichtige Freude darüber, dass er relativ unversehrt aus dem Krieg heimgekehrt war. Doch Luke, der seinen Vater lange Jahre nicht gesehen hatte, hörte nur die Dinge, die an der Oberfläche blieben.

»Ich habe unsere Freunde und Nachbarn zu einem großen Fest eingeladen, anlässlich der Heimkehr meines Sohnes«, wiederholte der alte Mann fest.

»Du hast nicht einmal daran gedacht mich zu fragen, ob mir das auch recht wäre«, stellte sein Sohn fest. Sein Gesicht mit den kantigen Zügen hatte eine leichte Röte angenommen, von der sich die Narbe deutlich abhob. »Du weißt doch sicher, wie sie mich nennen, deine Nachbarn und Freunde?«

»Es sind unsere Nachbarn und Freunde«, entgegnete Jake mit einem scharfen Unterton.

»Nicht mehr«, erwiderte Luke. »Mit meiner Entscheidung auf Seiten der Union zu kämpfen habe ich alle Freunde verloren.«

»Gib ihnen doch wenigstens eine Chance«, bat der Ältere. »Sie haben kapituliert vor den Nordstaaten, die Sklaverei gibt es nicht mehr …«

»Ja, auf dem Papier«, höhnte Luke, dessen Hände sich umeinander krampften, bis die Knöchel weiß hervortraten. Colleen, die bislang stumm daneben gesessen und ihren scharfen Worten gelauscht hatte, spürte den rasenden Puls ihres Arbeitgebers. Entschlossen stand sie auf. »Mr. Colborn, vielleicht gönnen Sie Ihrem Vater ein oder zwei Stunden Ruhe, bevor Sie eine Entscheidung treffen.« Behutsam fasste sie ihn am Ellenbogen und dirigierte ihn sanft, aber nachdrücklich, aus dem Zimmer. »Ich schicke Venus vorbei mit Ihrer Medizin«, sagte sie im Hinausgehen zu Jake. »Und glauben Sie nicht, dass ich es nicht merke, wenn Sie die Pillen nicht nehmen«, fügte sie gespielt streng an, bevor sie die Tür hinter sich schloss.

»Lassen Sie uns eine Tasse Tee auf der Veranda trinken«, schlug sie vor und gab ihrer Stimme einen bittenden Klang. »Kommen Sie. Von dort aus können Sie den Hengst sehen, den Ihr Vater extra für Sie gekauft hat.« In seine distanzierten, eisblauen Augen trat ein Funke von Interesse. »Gehen Sie doch schon einmal vor, während ich Tee und Limonade hole.« Zufrieden beobachtete sie, wie er den Salon durchquerte und die Verandatüren aufschloss. Im Sonnenlicht konnte man nur die Umrisse des breitschultrigen Mannes ausmachen. Seine schmalhüftige Silhouette verharrte bewegungslos. Es vergingen ein paar Sekunden, bis sich Colleen losreißen konnte. 

Als sie kurz darauf mit einem Tablett wiederkam, auf dem sich nicht nur Tee und Limonade, sondern auch köstlich belegte Sandwiches befanden, erhellte sich sein Gesicht zum ersten Mal.

»Greifen Sie zu«, lud sie ihn ein, während sie Tee einschenkte und die kühle Limonade in hohe Gläser goss. Er nahm sich ein Sandwich und biss vorsichtig ab. Seine Augen schlossen sich, während er kaute. »Sie sind ausgezeichnet«, lobte er. »Haben Sie die gemacht?«

»Nein, das war Venus«, gab sie zu. »Aber der Hühnersalat wurde nach einem alten Familienrezept gemacht, das ich von meiner Großmutter habe.«

»Venus ist also auch immer noch auf unserer Ranch«, stellte er fest. Er nahm einen Schluck vom Tee und verzog unmerklich das Gesicht, trank die Tasse schnell leer und griff nach der Limonade. Die Erleichterung, die sich nach dem süßen Getränk auf seinen Zügen malte, war fast schon komisch.

»Was haben Sie denn erwartet?«, gab sie zurück. »Ihr Vater braucht jemanden, der ihm auf der Ranch hilft. Die meisten Männer sind im Krieg, und die zurückgebliebenen Frauen haben genug damit zu tun, ihre Heime vor Plünderern zu schützen und ihre Familien zu ernähren.«

»Ich verstehe trotzdem nicht, warum die Leute lieber dort bleiben, wo sie alles an ihre jämmerliche Existenz als Sklaven erinnert. Wo sie nichts sind als Ware, ein Besitz, den man nach Belieben verkaufen, bestrafen oder sogar töten kann.«

Colleen hörte ihm zu, äußerlich ruhig, aber innerlich brodelte es in ihr. »Wissen Sie eigentlich, was Ihr Vater an dem Tag getan hat, als Sie sich heimlich davonstahlen? Er hat allen Sklaven, die er noch hatte, die Freiheit geschenkt.«

Lukes Hände zitterten. »Das hat er mir nie gesagt.«

»Warum auch? Für ihn war es eine Selbstverständlichkeit, nicht etwas, mit dem er sich vor seinem Sohn großtun wollte. Er hasst die Sklaverei genau so wie Sie«, fuhr sie eindringlich fort. »Und gleichzeitig hat er damit seinen Freunden und Nachbarn deutlich zu verstehen gegeben, auf wessen Seite er steht. Auf Ihrer Seite, Luke.« Sie nahm einen Schluck von der kühlen Limonade und fächelte sich Luft zu. Er schien es nicht bemerkt zu haben, dass sie ihn unwillkürlich mit seinem Vornamen angeredet hatte.

»Hören Sie, Miss Ashton.« Sie zuckte zusammen. Die Tatsache, dass er sie korrekt anredete, nachdem sie diesen Lapsus begangen hatte, wirkte wie ein Guss eiskalten Wassers. »Ich weiß nicht, was er Ihnen alles erzählt hat und warum Sie so viel über meinen Vater und mich wissen, obwohl Sie hier nur den Posten einer Haushälterin bekleiden. Aber ich versichere Ihnen, dass weder mein Vater noch ich Wert darauf legen, dass Sie unsere Familie retten. Denn da gibt es nichts zu retten.« Sein Blick schweifte nach draußen, wo in einiger Entfernung die Pferdekoppeln lagen, und verweilte auf den Tieren. Der Anblick schien ihn zu beruhigen, denn seine verkrampften Hände lösten sich voneinander, sein Blick wurde unmerklich weicher. Auch seine Stimme, die sie bislang als rau empfunden hatte, bekam einen sanfteren Klang.

»Wenn Sie mir nun genug ins Gewissen geredet haben, dann erzählen Sie mir doch ein wenig über sich.« Er betrachtete ihre Hände, die gefaltet in ihrem Schoß lagen, und ließ seinen Blick hinauf zu ihrer zarten, hellen Haut wandern. »Was hat Sie ausgerechnet in dieses Nest verschlagen? Sie kommen doch aus New York oder zumindest aus der Gegend.«

»Das stimmt«, gab sie zu und überlegte fieberhaft, wie sie es schaffen sollte, ihm nicht die ganze Wahrheit zu sagen, ihn aber auch nicht zu belügen. Sie beschloss, ihn mit einem Teil der Wahrheit in Sicherheit zu wiegen. »Als mein Vater starb, war er ein sehr reicher Mann«, begann sie betont sachlich. Es tat so weh, an seinen Tod zu denken, daran, dass seine letzten Worte nicht ihr gegolten hatten. »Meine Mutter starb im Kindbett, und kurz vor seinem Tod heiratete er eine andere Frau. Sie war schön, jung und gab ihm das Gefühl, der begehrenswerteste Mann der Welt zu sein, vermute ich.«

»Die alte Geschichte«, bemerkte Luke sachlich und vermied es, sie anzusehen. Stattdessen fixierte er seinen Blick auf Spirit, den prachtvollen gescheckten Hengst, der gerade friedlich weidete.

»Exakt«, stimmte Colleen zu, dankbar für seinen neutralen Ton. Mitgefühl hätte sie zum Weinen gebracht. »Er hinterließ ihr sein gewaltiges Vermögen und bat sie auf dem Sterbebett, für mich zu sorgen.«

»Ich verstehe«, sagte Luke und gab ihr die Gelegenheit, sich zu sammeln.

»Als bekannt wurde, dass ich ohne einen Pfennig Geld dastand und von der Gnade meiner neuen Stiefmutter abhängig war, löste mein Verlobter unsere Verbindung aus fadenscheinigen Gründen auf, und meine Freundinnen waren fortan für mich nicht mehr zuhause.«Bitterkeit schlich sich in ihre Stimme. »Also beschloss ich, auf die Anzeige Ihres Vaters zu antworten, und … hier bin ich«, schloss sie ein wenig lahm. Die Rolle, die ihre Stiefmutter bei ihrer Flucht gespielt hatte, verschwieg sie.

»Ich verstehe«, wiederholte Luke und starrte weiterhin auf Spirit, der nun in ausgelassenem Galopp über die Weide tollte. Das Spiel seiner Muskeln unter dem glänzenden Fell und seine offensichtliche Freude waren ein Anblick, der Colleen fröhlich stimmte. Doch Lukes nächste Worte zerstörten die aufkeimende Heiterkeit. »Und da haben Sie sich gedacht, Sie nehmen sich an Ihrer Stiefmutter ein Beispiel und suchen sich einen wohlhabenden Mann, dessen Leben sich dem Ende zuneigt.« Seine Kiefer mahlten. »Eines kann ich Ihnen versprechen, Miss Ashton. Ich werde nicht davonlaufen, so wie Sie es getan haben, und Ihnen die Ranch überlassen. Und sollte mein Vater mich tatsächlich aus seinem Testament streichen, dann werde ich mit allen Mitteln, die mir zur Verfügung stehen, dagegen angehen. Haben Sie das verstanden?« Er drehte den Kopf zu ihr, und Colleen zuckte zurück vor der Verachtung, die sie in seinem Blick lesen konnte. »Ursprünglich hatte ich vor, nur ein paar Monate auf der Ranch zu bleiben und dann nach New York zu gehen, um mir dort eine unabhängige Existenz aufzubauen. Aber Sie haben es im Handumdrehen geschafft, meine Pläne zu ändern. Ich werde hierbleiben.«

»Ich …«, stotterte sie, sprachlos angesichts seines Verdachts. »Ich schwöre Ihnen, ich habe nicht die Absicht …« Sie verstummte, als er aufstand und grußlos den Raum verließ. Tränen traten ihr in die grünen Augen und drohten, überzulaufen. Ihrer Kehle entrang sich ein Laut, der irgendwo zwischen einem Schluchzen und einem Lachen lag. 

Sie hatte erreicht, was Jake Colborn sich so sehnlich erhofft hatte: Luke würde bleiben.

Doch die Gründe für sein Bleiben waren die falschen.

Ende der Leseprobe.

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